Eigentlich hatte ich es vermeiden wollen, kurz vor Weihnachten noch etwas Anderes als Lebensmittel einkaufen zu müssen. Aber dann versagte unser Staubsauger seinen Dienst, und Ersatz musste her. Außerdem hatte ich mit meiner Frau die klare Abmachung, dass wir uns dieses Jahr nichts zu Weihnachten schenken.
Am 20. Dezember wurde mir dann aber klar, dass ich an die Sache zu naiv herangegangen war und dringend noch ein Geschenk brauchte, um vorwurfsvolle Blicke unterm Weihnachtsbaum zu vermeiden. Eine DVD des Lieblingsfilms meiner Frau („Pretty Woman“) sollte für ein Lächeln sorgen. Blieb nur noch die Frage: online oder offline kaufen?
Für Online-Bestellungen war es fast schon zu spät, eine Zustellung vor Weihnachten garantierte keiner mehr, Amazon wurde bestreikt, das Risiko war zu groß. Offline war durch den zweiten Corona-Lockdown alles dicht – außer für die Abholung bestellter Ware. Meine Rettung, dachte ich. Doch ganz so einfach stellte sich das Unterfangen dann nicht heraus.
Für den klassischen Einzelhändler in Deutschland, der so gern über die Kampfpreise aus dem Internet jammert, ist das Verkaufen übers Web auch im Jahr 2020 noch Neuland, habe ich den Eindruck. Einige scheinen zu glauben, eine Website mit Adresse und Telefonnummer sei genug und verweigern sich ansonsten ganz der Digitalisierung. Digitales Warenwirtschaftssystem? Vielleicht noch mit Anbindung an einen Webshop? Produktinformationen und Verkaufsberatung online? Oftmals Fehlanzeige, Sterben auf Raten, ein Trauerspiel!
Wer mehr zu diesem Thema wissen möchte sollte einmal „Gerrit Heinemann“ googeln oder sich sein Buch „Die Neuerfindung des stationären Einzelhandels“ kaufen – online oder offline.
Aber wenigstens die größeren Ketten sollten doch mittlerweile die Verknüpfung von Online und Offline beherrschen, dachte ich. Also Unternehmen mit vielen Filialen, die auch in Gießen vertreten sind wie Saturn, Expert Klein und Thalia.
Nachdem ich von der Haltbarkeit des letzten Bosch Staubsaugers enttäuscht war und meine Frau gerne einen beutellosen haben wollte, recherchierte ich online nach passenden Modellen. Die Wahl fiel schließlich auf einen Staubsauger von Miele, der Testsieger bei der Stiftung Warentest geworden war. Während der Sauger fast schon futuristisch aussieht, kann man das von der altbacken wirkenden und unübersichtlichen Miele-Website beim besten Willen nicht behaupten. Nun gut, ich wollte den Staubsauger ja dort auch nicht kaufen.
Bei Expert Klein war der Preis deutlich besser als bei Saturn, also schnell im Online-Shop reserviert. Praktisch: die Ware muss nicht bereits online bezahlt werden sondern erst bei Abholung. Die Reservierungs-Bestätigung kam prompt per E-Mail, zusammen mit dem Versprechen „Wir melden uns in Kürze bei Ihnen zurück.“
Saturn wurde 1961 in Köln gegründet und 1990 durch den Konkurrenten Media Markt übernommen. Seit 2017 firmiert die Marke Saturn zusammen mit dem Schwesterunternehmen Media Markt unter dem Dach der Ceconomy AG. Media-Saturn ist die größte Elektronik-Fachmarktkette in Europa.
1919 in Hamburg gegründet, erfolgte ab 1970 eine stetige Expansion mit diversen Übernahmen und Zusammenschlüssen unter wechselnden Inhabern. Heute ist Thalia familiengeführt, verfügt nach der Vereinigung mit der Mayerschen Buchhandlung über mehr als 330 Buchhandlungen in Deutschland und Österreich und beschäftigt etwa 6.000 Mitarbeiter.
Gegründet 1962, umfasst die Expert Gruppe heute mehr als 4.000 Niederlassungen in 22 Ländern. Sie gehört 211 Gesellschaftern, die zusammen 409 Standorte betreiben. Einer der größten Gesellschafter ist das Familienunternehmen Expert Klein mit Firmensitz in Burbach, das 25 Elektronikfachmärkte in Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Bayern betreibt und 850 Mitarbeiter beschäftigt.
Dummerweise war die „Pretty Woman“ DVD bei Expert Klein laut Webshop nicht vorrätig. Sie könnte zwar von der Niederlassung in Gießen besorgt werden, ein Zeitfenster hierfür war jedoch nicht angegeben. Das war mir zu riskant.
Die Lösung fand sich dafür bei Saturn. Die CD sei in Gießen „abholbereit ab 21.12.2020“. Das klang doch gut! Die Online-Reservierung ging schnell, die Bezahlung war ebenfalls erst bei Abholung nötig, die Bestätigung per E-Mail kam sofort mit dem Hinweis „Sobald die Ware für Sie im Markt abholbereit steht, erhalten Sie eine Abholbestätigung.“
Ein Mitarbeiter von Expert Klein rief mich direkt am Montagvormittag an und bestätigte, dass der Staubsauger ab sofort abholbereit sei. Top! Die Verknüpfung zwischen online und offline hatte hervorragend funktioniert – besser geht’s nicht!
Mit der Abholung wollte ich aber warten, bis auch die DVD bei Saturn abholbereit sei, da beide Geschäfte direkt gegenüberliegen und ich eine Fahrt sparen wollte. Am 21.12. kam allerdings keine Abholbenachrichtigung von Saturn – dafür aber eine Werbe-E-Mail „Apple Music jetzt 4 Monate kostenlos probehören – auch für Android Geräte.“ Hatte ich Saturn meine Werbeeinwilligung gegeben? Per Double-Opt-In ..?
Also rief ich abends den Kundenservice von Saturn an, um zu klären, wann ich die DVD denn abholen könne. Die mittelmäßig freundliche Dame am Telefon sagte mir, dass eine Abholung erst nach Erhalt der Abholbenachrichtigung möglich sei und dass diese innerhalb von 24 Stunden nach Online-Bestellung kommen sollte. Erst danach könne sie mir weiterhelfen.
Auf meine Frage, ob denn die DVD laut Warenwirtschaftssystem in Gießen tatsächlich vorrätig sei, suchte sie eine Zeit lang in ihrem Computer, um mir dann mitzuteilen, dass die DVD ab dem 28.12. verfügbar sein soll. Aber ich solle bitte abwarten, ob ich nicht doch innerhalb von 24 Stunden noch eine Abholbenachrichtigung erhalte.
Ok, Kundenservice ginge auch noch schlechter. Aber vor meinem geistigen Auge erschien das enttäuschte Gesicht meiner Frau unterm Weihnachtsbaum… 😳 Plan B musste her!
Laut thalia.de war der Film in Gießen „Abholbereit ab dem 22.12.2020“. Die Online-Reservierung ging auch hier schnell, ebenso die schriftliche Bestätigung per E-Mail mit der Information „Wir informieren Sie nach Eingang der Bestellung während der Filial-Öffnungszeiten, wann diese zur Abholung in der Filiale für Sie bereit liegt!“ Jetzt hieß es warten und hoffen…
Einladendes Interior bei Thalia, aber Besuch im Lockdown leider nicht möglich:
Die Frage war, wer von beiden – Saturn oder Thalia – sich am 22.12. schneller melden würde. Die Antwort: keiner. Funkstille auf allen Kanälen. ☹ Ja, es war kurz vor Weihnachten. Ja, es war Lockdown. Ja, das beides erschwert die Logistik. Aber NEIN, Lieferzusagen nicht einzuhalten geht gar nicht! Hier gilt: Erklärungen sind Ausreden, versprochen ist versprochen.
Wenn Zusagen nicht gehalten werden können, warum auch immer, müssen die Zusagen so geändert werden, dass sie gehalten werden können. Und sich im Fall von nicht gehaltenen Zusagen gar nicht zu melden geht auch gar nicht!
Zum Glück isst meine Frau ebenso gerne Schokolade wie ich, so dass ich das Weihnachtsfest zur Not wohl auch mit einer Schachtel Pralinen retten könnte. Aber das entbindet Saturn und Thalia nicht von der Pflicht, ihre Versprechen einzuhalten.
Immerhin: am 23.12. kam um 10:44 Uhr die E-Mail von Thalia, dass die DVD nun in Gießen abgeholt werden könne und man sich auf meinen Besuch freue.
Expert Klein in Gießen hatte seinen Eingang mit einer Art provisorischer Bretterbude mit Plastikvorhängen verriegelt. Dahinter begrüßte mich eine überaus freundliche und motivierte Mitarbeiterin, die sichtlich Spaß an ihrer Aufgabe hatte und ihren Kunden trotz Maske und Vorweihnachtsstress ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Wenige Minuten später war ich stolzer Besitzer meines ersten Miele-Staubsaugers und auf dem Weg zur Thalia-Filiale in der Gießener Fußgängerzone. Hier war der improvisierte Abfang- und Verkaufstresen innen aufgebaut. Die Mitarbeiterin war ebenfalls sehr freundlich, die DVD tatsächlich da, das Weihnachtsfest gerettet.
Positiv: Sowohl Expert Klein als auch Thalia hatten erkennbar kurzfristig improvisieren müssen, um die Lockdown-Abholbestimmungen einhalten zu können – und das hinbekommen. Ebenso positiv: Offensichtlich hatten beide auch die Mitarbeiter so miteingebunden, dass diese trotz der erschwerten Bedingungen gut gelaunt und motiviert waren. Not macht erfinderisch – und gute Lösungen sowie freundlicher Service Kunden glücklich!
Nachtrag: am 13.01.2021 traf schließlich doch noch die Abholbenachrichtigung von Saturn ein – drei Wochen nach Weihnachten…
Es ist schwieriger, vorhandene Offline-Strukturen und –prozesse zu digitalisieren, als gleich online mit einem Webshop zu starten. Aber seit dem Durchbruch des Internets Ende der 90er sind bereits mehr als zwanzig Jahre vergangen – genug Zeit, sich auch online gut aufzustellen.
Viele stationäre Händler nutzten diese Zeit nicht konsequent genug und sind nun gegenüber dem Konzern Amazon beim Online-Shopping so weit im Hintertreffen, dass ein Aufholen fast unmöglich erscheint.
Auch die großen Handelshäuser wie Media-Saturn, Thalia oder Expert sind mit ihren Webshops und verfügbaren Sortimenten gegenüber Amazon im Rückstand. Ihr Vorteil: Sie sind dort, wo Amazon (noch) nicht ist: vor Ort, in ganz Deutschland. Sie haben direkten Kundenkontakt und die Chance, Kunden persönlich zu beraten.
Erfolgreich werden sie aber mit diesem Ansatz aber nur dann sein können, wenn sie es schaffen, online-offline miteinander zu verbinden. Media-Saturn, Thalia und Expert scheinen dies erkannt zu haben, sind aber auf dem Weg unterschiedlich weit vorangeschritten.
Das beste Einkaufserlebnis bot Expert Klein. Übrigens zum wiederholten Male, ich hatte den gleichen Reservierungs- und Abholservice in der Vergangenheit bereits zwei Mal genutzt und es hat jedes Mal gleich gut funktioniert. Besonders positiv finde ich die sehr schnelle, persönliche und freundliche Rückmeldung per Telefon.
Bei Thalia ist dieser Service etwas unpersönlicher, scheint aber grundsätzlich auch gut zu funktionieren. Da Bücher schon lange von einzelnen Filialen zur Abholung bestellt werden konnten, überrascht dies auch nicht. Die technische Verzahnung vom Webshop funktioniert sehr gut, aber die Einhaltung der Lieferzusagen muss verbessert werden.
Saturn ist technisch aus Kundensicht ähnlich aufgestellt wie Expert und Thalia. Jedoch scheint die Verknüpfung von Webshop und Warenwirtschaftssystem nicht richtig zu funktionieren. Vorhandene Warenbestände und Liederdaten stimmen nicht. Hier besteht dringend Optimierungsbedarf!
Händler, die über kein digitales Warenwirtschaftssystem verfügen und bei denen Kunden nicht bereits online erkennen können, welche Ware vor Ort vorrätig ist oder bis wann abgeholt bzw. zugestellt werden kann, sind meiner Meinung nach nicht zukunftsfähig und dem Untergang geweiht. Sie werden solchen Unternehmen weichen müssen, denen die Verbindung aus Online-Offline gelingt.
Darüber habe ich mich gefreut:
Ideen zur Verbesserung: